Der Ausschuss für Jugend und Familie nimmt die neue Konzeption der Erziehungsberatung im Landkreis Coburg zur Kenntnis. Der Erziehungsberatung in Trägerschaft des Diakonischen Werks Coburg werden zum 01.01.2014 befristet auf 3 Jahre 1,2 Beraterstellen zusätzlich zuerkannt, für die der Landkreis die Personalkosten bis zu einer Höhe von 56.400 € übernimmt. Die zusätzlichen Personalkapazitäten sind in Abstimmung mit der Verwaltung in den Kindertagesstätten im Landkreis Coburg einzusetzen. Die Verwaltung wird beauftragt, die erforderlichen Haushaltsmittel im Haushaltsentwurf für 2014 einzuplanen.
Sachverhalt:
Erziehungsberatung ist eine Pflichtleistung der Jugendhilfe, die eine besondere Position in den Hilfen zur Erziehung wahrnimmt. Während die Leistungen der Jugendhilfe eine Einzelentscheidung des öffentlichen Jugendhilfeträgers voraussetzt, ist bei der Erziehungsberatung die „niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme[1]“ zuzulassen.
Die
grundsätzliche Zielrichtung und Rahmung gibt der Gesetzgeber in § 28 SGB VIII
vor:
Erziehungsberatungsstellen ….
sollen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der
Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der
zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei
Trennung und Scheidung unterstützen. Dabei sollen Fachkräfte verschiedener
Fachrichtungen zusammenwirken, die mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen
vertraut sind.
In Stadt und Landkreis Coburg wird die Erziehungsberatung seit Jahren durch das Diakonische Werk erbracht, die dafür durch den Freistaat Bayern, die Stadt Coburg und den Landkreis bezuschusst wird. Die Grundlage dafür ist eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung, die jährlich fortgeschrieben wird und einen Ist-Zustand beschreibt. Sie berücksichtigt keinen Veränderungs- und Anpassungsbedarf.
In Absprache zwischen dem Fachbereich Jugend, Familie und Senioren und dem Träger wurden deshalb in den zurückliegenden Monaten sich verändernde Bedarfe thematisiert und darauf aufbauende mögliche Handlungsansätze festgelegt und erprobt.
Auf diesem Hintergrund entstand der jetzt vorliegende Entwurf einer Konzeption, der in der Anlage 1 beigefügt ist. Er beschreibt die Rahmenbedingungen, Ziele und Zielgruppen incl. einer Zielgruppenanalyse, die Leistungen, Arbeitsstrukturen und das Selbstverständnis der Erziehungsberatung, sowie der Beschreibung der Qualitätssicherung und wird vom Träger in der Sitzung vorgestellt.
1. Bedarf in der Erziehungsberatung
1.1 Grundsätzliche Inanspruchnahme
Im Jahresvergleich der zurückliegenden 5 Jahre zeigt sich auch bei der Erziehungsberatung im Landkreis Coburg eine steigende Inanspruchnahme.
Trendlinie 2008 2009
2010 2011
2012
Zwischen
2008 und 2012 ist das Fallvolumen im Mittel um 10 % angestiegen.
1.2 sozialräumliche Verteilung
Die Erziehungsberatung der Diakonie arbeitet nach wie vor im Schwerpunkt mit einer Komm-Struktur. Die Gespräche finden überwiegend in der Beratungsstelle in Coburg, sowie 1 x wöchentlich an einem Nachmittag im Familienzentrum in Neustadt statt.
Die sozialräumliche Verteilung der Inanspruchnahme unter Berücksichtigung der Jugendeinwohnerwerte sah im vergangenen Jahr wie folgt aus:
Insbesondere die in größerer Distanz zur Stadt Coburg gelegenen Städte und Gemeinden sind unterdurchschnittlich vertreten. Diese regionalen Disparitäten waren auch schon in den Vorjahren vorhanden.
Der Träger erprobte 2011 und in Teilen auch noch 2012 monatliche Sprechstunden in verschiedenen Räumlichkeiten in Bad Rodach, in Seßlach, in Weidhausen und in Lahm.
Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich wie folgt festhalten:
- Mit den Sprechstunden wurden auch Familien erreicht, die sich bislang nicht an die Erziehungsberatung gewandt hatten.
- Nicht alle Räume sind für Sprechstunden geeignet. Besonders positiv war die Resonanz in Kindertagesstätten.
- Monatliche Termine reichen für erste Kontakte aus, nicht aber, wenn daraus ein längerer Beratungsprozess resultiert.
1.3 Online-Beratung
Seit dem Ende der 1990er Jahre etablieren sich zunehmend psychologische Online-Beratungen. Anlass dazu war die zunehmende Verbreitung und Nutzung von Internetdiensten. Inhaltlich zeigte sich sehr schnell, dass diese anonyme Beratungsform zum einen die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, absenkt und zum anderen gerade sehr sensible Themen leichter angesprochen werden:
„Gerade diese Form
eines niederschwelligen Angebots und die Möglichkeit der Anonymität im Internet
bewirken, dass Onlineberatung intensiv stattfinden kann. Dabei entsteht die paradoxe
Situation einer Nähe durch Distanz,
die etwa auch bei der Telefonseelsorge beschrieben wird. Diese Distanz bewirkt,
dass gesellschaftlich tabuisierte Themen angesprochen werden: Sexualität,
Umgang mit Gewalt, Sterben, Tod und selbstverletzendes Verhalten. Ratsuchende
bei Onlineberatungsanbietern erleben Chat- und Mailkommunikation noch
niederschwelliger als das Telefongespräch, da sie im Internet nicht einmal ihre
Stimme zu erkennen geben müssen.“[2]
Einen zweiten Aspekt der Verbreitung digitaler Technologien griffen Pädagogen und Wissenschaftler ab 2001 auf und prägten den Begriff der „Digital Natives“. Definiert werden diese als Menschen, die selbstverständlich mit Computern, dem Internet, Mobiltelefonen, etc. aufgewachsen sind und deren Zugänge zu Unterstützungsangeboten sich deshalb verändert haben.
Diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse aufgreifend beschloss die Jugendministerkonferenz im Mai 2003 die Einrichtung einer bundesweiten Erziehungsberatung im Internet in der Trägerschaft der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Personell getragen wird sie durch die mitwirkenden Beratungsstellen.
Das Diakonische Werk Coburg e.V. bietet seit 2011 Online-Beratung an, allerdings nicht im Verbund mit der bke, sondern über die Diakonie Deutschland. Der Umfang der Online-Beratung ist nachfolgender Grafik zu entnehmen:
Die Ratsuchenden nehmen anonym Kontakt auf, sodass nicht
feststellbar ist, woher die Anfrage kommt. Aus den Fällen, in denen eine
„Überleitung“ in eine persönliche Beratung anstand, ist jedoch bekannt, dass
die virtuelle Beratung nicht nur von Landkreisfamilien in Anspruch genommen
wird.[3]
2. Personalbedarf in der Erziehungsberatung
Die Leistung „Erziehungsberatung“ wird in Coburg durch Zuschüsse des Freistaats, der Stadt und des Landkreises, sowie durch den Eigenanteil des Trägers finanziert.
Die Förderung durch den Landkreis ist auf sich auf maximal 3 BeraterInnen begrenzt, die auch für die Stadt Coburg tätig sind. Die Zuschusshöhe basiert auf dem Anteil der Ratsuchenden, die im Landkreis Coburg wohnen; dieser liegt im Durchschnitt bei 65 %.
Für Familien aus dem Landkreis Coburg stehen demnach rechnerisch 1,95 (= 65 % der 3) BeraterInnenstellen zur Verfügung.
Um festzustellen, ob diese Personalausstattung dem Bedarf im Landkreis Coburg entspricht, sind Vergleichsdaten und externe Erkenntnisse erforderlich.
2.1 Empfehlungen
zur Personalausstattung
1956 hat die
Weltgesundheitsorganisation 4-5 Fachkräfte (BeraterInnen und
VerwaltungsmitarbeiterInnen) je 45.000 EinwohnerInnen empfohlen.
1973 sprach sich
die Jugendministerkonferenz für eine Personalausstattung mit 3 Fachkräften je
50.000 Einwohner aus.
Die Bundeskonferenz
für Erziehungsberatung sprach sich 1999 wegen der sich wandelnden Zusammensetzung
der Bevölkerung für eine Anpassung der Bezugsgröße aus. Sie empfiehlt seither 4
Fachkräfte je 10.000 unter 18jährigen.
Die einzige
vorliegende politische Willenserklärung ist die Empfehlung der
Jugendministerkonferenz von 1973. Da von 1973 bis 2013 der Anteil an Kindern
und Jugendlichen von über 25 % auf unter 20 % Anteil an der Gesamtbevölkerung zurück
gegangen ist, ist die Bezugsgröße tatsächlich anzupassen.
Umgerechnet auf die
Anzahl von EinwohnerInnen unter 18 Jahren sieht die Empfehlung der
Jugendminister von 1973 demnach 3 Fachkräfte für 12.500 Minderjährige vor.
2.2 Tatsächliche Personalausstattung
Die tatsächliche
Personalausstattung in den Erziehungsberatungsstellen[4]
wurden im Rahmen des 13. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung
erhoben und für den Zeitraum 1995 bis 2007 zusammenfassend dargestellt:
Die bundesweite
Quote des Personals in der Erziehungsberatung lag 2007 demnach bei 2,3
BeraterInnen je 10.000 Minderjährigen.
2.3 Berechnungen
zum Personalbedarf im Landkreis Coburg
Mit Stichtag
31.12.2011 lebten 14.255 junge Menschen unter 18 Jahren im Landkreis Coburg.
Berücksichtigt man den anhaltenden demografischen Wandel, bei dem bis Ende 2015
mit einem Rückgang der Minderjährigenzahlen von bis zu 10 % zu rechnen ist,
leben dann noch ca. 13.000 Kinder und Jugendliche im Landkreis.
Nimmt man dies als
Bezugsgröße zur Ermittlung des Personalbedarfs im Landkreis Coburg, würde sich
folgendes –berechnet in den beiden Alternativen Jugendministerkonferenz und
tatsächliche BeraterInnenquote- ergeben:
|
BeraterInnen |
||
IST |
Empfehlung Jugendministerkonferenz |
Differenz |
|
Je 10.000 unter 18jährige |
1,5 |
3 |
1,5 |
Für 13.000 unter
18-jährige |
1,95 |
3,9 |
1,95 |
|
BeraterInnen |
||
IST |
Tatsächliche Beraterquote 2007 |
Differenz |
|
Je 10.000 unter 18jährige |
1,5 |
2,3 |
0,8 |
Für 13.000 unter
18-jährige |
1,95 |
3 |
1,05 |
In den Berechnungen unberücksichtigt bleibt der Personalbedarf für die Online-Beratung. Die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörden hat dazu 2003 einen Personalbedarf von 10 h wöchentlich für 1 Mio. EinwohnerInnen beschlossen. Die bke sieht, dass ein Einsatz von 5 h wöchentlich für Beratungsstellen realisierbar ist.
3. Bewertung des Handlungsbedarfs
Die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung steigt. Das liegt zum einen daran, dass sich die Aufgaben der Erziehungsberatung durch gesetzliche Änderungen erweitert haben. Normative Vorgaben zum Kinderschutz und die Zwangsberatung im Rahmen hochstrittiger Sorgerechtsverfahren sind dafür exemplarisch.
Zum zweiten hat sich die Erziehungsberatung in den vergangenen 2 Jahren –zusätzlich zum laufenden Alltagsgeschäft- darauf eingelassen, neue Ansätze zu erproben. Sowohl der engere Vor-Ort-Bezug, sich in die Sozialräume des Landkreises hineinzubegeben, als auch der Versuch, über digitale Technologien junge Menschen zu erreichen, haben zu einem Fallanstieg geführt. Es gelingt offenbar auf diesem Weg tatsächlich, auch diejenigen anzusprechen, die bislang nicht zum Klientel der Beratungsstelle gehören.
Das gilt es auszubauen und zu verstetigen, wobei insbesondere der Bedeutung der Kindertageseinrichtung Rechnung getragen werden muss.
Eine Anpassung in der Personalausstattung der Erziehungsberatung ist bislang nicht erfolgt. Die Forderung der bke und die Empfehlung der Jugendministerkonferenz außer Acht lassend, liegt selbst unter Berücksichtigung der tatsächlichen bundesweiten Beraterquote aus 2007 in der Erziehungsberatung für den Landkreis Coburg ein Fehlbedarf von 1,05 Beraterstellen vor.[5]
Hinzu kommt der Personalbedarf für die Online-Beratung.
Lt. Angaben des Trägers sind dafür in einem Jahr mind. 571 Stunden aufgewandt worden. Das entspricht 0,36 Vollzeitstelle und damit 14 Stunden wöchentlich. Das übersteigt die Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörden um mehr als das 14-fache und ist sogar 3x so hoch wie die von der bke als Träger der bundesweiten Online-Beratung angegebene faktische Personalbindung. Diese zugrunde legend würde für die Online-Beratung ein zusätzlicher Personalbedarf von einer 0,13 Beraterstelle entstehen.
Summarisch braucht die Erziehungsberatung demnach ca. 1,2 Vollzeitstellen mehr als bislang vom Landkreis gefördert wurden. Die Beratungstätigkeit ist von einem Sozialpädagogen mit einer therapeutischen Zusatzausbildung wahrzunehmen. Laut Arbeitskreis Jugendhilfe des Bayerischen Städte und Landkreistages ist dafür die Entgeltgruppe S 15 des TVöD[6] anzusetzen. Der Arbeitsgeberaufwand für 1,2 Vollzeitkräfte in dieser Entgeltgruppe beläuft sich auf 56.400 €.
Die Finanzierung dieser zusätzlichen Personalkapazität ist an folgende Umsetzung gebunden:
- Die zusätzlichen Personalkapazitäten werden ausschließlich für die Erziehungsberatung in den Sozialräumen im Landkreis eingesetzt. Einsatzorte sind in der Regel die Kindertageseinrichtungen. Über den konkreten Einsatz ist Einvernehmen mit dem Fachbereich Jugend, Familie und Senioren herzustellen.
- Den erforderlichen Sachaufwand übernimmt der Träger.
- Die Erhöhung erfolgt zum 01.01.2014 und ist befristet für die Dauer von 3 Jahren.
- Der Träger verpflichtet sich, rechtzeitig vor Ablauf dieser 3 Jahre dem Ausschuss für Jugend und Familie einen Bericht mit aussagefähigen Daten vorzulegen.
Dem Ausschuss für Jugend und Familie wird vorgeschlagen, folgenden Beschluss zu fassen:
[1] vgl. § 36a, Abs. 2 SGB VIII
[2] Aus http://de.wikipedia.org/wiki/Onlineberatung, 03.04.2013
[3] Das trifft allerdings auch auf die offenen Sprechstunden zu, in denen Familien auch nicht ihren Wohnort nachweisen müssen. Lt. Statistik kamen 2011 10 aller Fälle (2 %), in 2012 5 Fälle nicht aus Stadt oder Landkreis Coburg.
[4] Mehr Chancen für ein gesundes Aufwachsen, Verlag Deutsches Jugendinstitut, München, 2010
[5] Für die Stadt Coburg trifft dies nicht zu, da sie zusätzlich zu den gemeinsam finanzierten Beraterstellen eine weitere Vollkraft finanziert.
[6] Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst