Sitzung: 14.02.2012 Ausschuss für Jugend und Familie
Vorlage: 016/2012
Sachverhalt:
Nach den durch Misshandlung und Vernachlässigung durch die Eltern zu Tode gekommenen Kindern „Kevin“ und „Lea-Sophie“ wurde das Thema Kinderschutz im Dezember 2007 und Juni 2008 auf den Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und den Regierungschefs der Länder zur „Chefsache“ erklärt („Kinderschutzgipfel“). Das war die Geburtsstunde eines bundesweiten Kinderschutzgesetzes, das in den folgenden 3 ½ Jahren u.a. aufgrund erheblicher Kritik der Fachwelt modifiziert und angepasst wurde.
Am 16.12.2011 stimmte der Bundesrat nach Erarbeitung von Kompromissvorschlägen des zwischenzeitlich angerufenen Vermittlungssausschusses dem Gesetzesentwurf zu.
Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) ist zum 01.01.2012 in Kraft getreten.
Im Folgenden sind die wichtigsten Regelungen im Überblick dargestellt. Ein ausführlicher, durch das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) erstellter synoptischer Überblick, der auch die Änderungen weiterer Gesetze darstellt, ist in der Anlage beigefügt.
Zusammenarbeit aller Akteure / Netzwerke
Alle
wichtigen Akteure im Kinderschutz werden auf die verbindliche Zusammenarbeit in
einem Kooperationsnetzwerk verpflichtet, für dessen Organisation der örtliche
Träger der Jugendhilfe verantwortlich ist.
In der Region Coburg findet diese Kooperation in Federführung der Jugendämter
des Landkreises und der Stadt bereits im „Netzwerk Frühe Kindheit“ seit 2009
statt. Die neue gesetzliche Regelung erweitert den Kreis der darin
einzubindenden Institutionen jedoch erheblich. So sind Sozialämter, gemeinsame
Servicestellen, Schulen, Polizei und Ordnungsbehörden, Agenturen für Arbeit,
Beratungsstellen für soziale Problemlagen, Frauenhaus, Familienbildungsstätten
und Familiengerichte im Gesetzestext explizit genannte Kooperationspartner, die
im Coburger Netzwerk bisher aber nicht vertreten sind.
Zu
entwickeln sind Kooperationsvereinbarungen zwischen den Partnern, in denen die
Grundsätze der Zusammenarbeit verbindlich geregelt werden.
Frühe
Hilfen für werdende Eltern und junge Familien
Das Gesetz schafft die rechtliche Grundlage
dafür, leicht zugängliche Hilfeangebote für Familien vor und nach der Geburt
und in den ersten Lebensjahren des Kindes flächendeckend und auf einem hohen
Niveau einzuführen bzw. zu verstetigen.
In Vorbereitung auf die erwarteten
gesetzlichen Änderungen im Landkreis Coburg hat der Ausschuss für Jugend und
Familie die Einführung von Elternbriefen und den Willkommensbesuch bei
Neugeborenen im Juli bzw. Oktober 2011 beschlossen. Zur Umsetzung ist die
Änderung der bayerischen Meldedatenverordnung erforderlich, deren Inkrafttreten
im Mai d.J. erwartet wird.
Einsatz von Familienhebammen
Größter
Streitpunkt im Gesetzgebungsverfahren war der den Jugendämtern zugeordnete
Einsatz von Familienhebammen, für die der Bund bis 2015 Geld zur Verfügung
stellen wollte.
Kritisiert wurde zum einen die Zuordnung der Familienhebamme zur öffentlichen
Jugendhilfe und eben nicht zum Gesundheitssystem, in dessen Bereich der
Hebammeneinsatz ohnehin bereits verankert ist. Dieser Punkt wurde nicht
geändert.
Zweiter Kritikpunkt war, dass der Bund sich ab 2015 für die Finanzierung der
Familienhebammen nicht weiter in der Verantwortung sah. Hier wurde im
Vermittlungsausschuss erreicht, dass eine Finanzierung auch über 2015 hinaus
durch den Bund sichergestellt wird. Wie dieses umgesetzt werden soll, ist
bislang nicht klar.
Befugnisnorm für
Berufsgeheimnisträger zur Informationsweitergabe an das Jugendamt
Arzte
und Hebammen, Psychologinnen oder Suchtberater, Lehrer oder
Schwangerschaftskonfliktberaterinnen und einige andere mehr sind sogenannte
„Berufsgeheimnisträger“; sie unterliegen gesetzlich normiert der
Schweigepflicht. Im Kontext einer Kindeswohlgefährdung wird diese
Schweigepflicht dann dem Jugendamt gegenüber „aufgehoben“, wenn Eltern nicht
gewillt oder in der Lage sind, Hilfen zur Abwendung der Gefahren für ihr Kind
anzunehmen.
In
Bayern ist dies in Teilen bereits seit 2003 –sogar weitergehend- in Artikel 14
des Gesundheitsdienst-
und Verbraucherschutzgesetz (GDVG) geregelt:
„(3) Die unteren
Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz
arbeiten im Rahmen ihrer Aufgaben nach dieser Bestimmung mit anderen Stellen
und öffentlichen Einrichtungen, insbesondere mit Schulen und Stellen der
Schulverwaltung sowie mit Einrichtungen und Trägern der öffentlichen und freien
Jugendhilfe zusammen. Werden ihnen gewichtige
Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen
bekannt, schalten sie unverzüglich das zuständige Jugendamt ein…..
(6) Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger sind verpflichtet,
gewichtige Anhaltspunkte für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen
sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen, die ihnen im Rahmen ihrer
Berufsausübung bekannt werden, unter Übermittlung der erforderlichen
personenbezogenen Daten unverzüglich dem Jugendamt mitzuteilen.“
Beratungsanspruch gegenüber dem
Jugendamt
Dem im Bundeskinderschutzgesetz benannten Personenkreis aus Medizin,
Bildung, Schule und Sozialbereich wird ein verbriefter Beratungsanspruch
gegenüber dem Jugendamt zuerkannt.
Im Landkreis Coburg ist dazu in einem ersten Schritt eine Kurzinformation
in Vorbereitung, die über Anzeichen bei Verdacht auf Misshandlung und
Vernachlässigung informiert und den Umgang damit erläutert. Diese wird in der
Sitzung vorgestellt.
Regelung zum Hausbesuch
Die Regelung, ohne Ausnahme einen Hausbesuch bei jeder Meldung zur Kindeswohlgefährdung durchzuführen, ist nach erheblichen Widerständen aus der Fachwelt während des Gesetzgebungsverfahrens abgeschwächt worden. Ein Hausbesuch ist dann zu machen, wenn er nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist und der Schutz des Kindes dadurch nicht gefährdet wird.
Diese Regelung entspricht bereits dem Standard im Landkreis Coburg:
„Um die Bedeutung der Mitteilung einschätzen
zu können, ist in der Regel ein Hausbesuch zur Kontaktaufnahme mit der Familie
notwendig – zu zweit, mit dem Ziel, eine richtige Einschätzung und Bewertung zu
dem Zustand des Kindes, seinen Lebensbedingungen und seiner
Entwicklungsperspektive vorzunehmen……
Um zu verhindern, dass Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung
durch die Eltern oder den erziehenden Elternteil verdeckt werden, kann es im
Einzelfall angezeigt sein, vor einem Hausbesuch die ersten Eindrücke außerhalb
des Hauses anderenorts, wie z.B. im Kindergarten oder in der Schule, zu
gewinnen.“
aus:
Leitlinie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, Landkreis Coburg
Ausschluss einschlägig Vorbestrafter von Tätigkeiten in der Kinder- und
Jugendhilfe
Bislang bereits mussten hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der öffentlichen und freien Jugendhilfe ein Führungszeugnis vorlegen, um den Einsatz einschlägig vorbestrafter Fachkräfte in der Jugendhilfe zu verhindern.
Diese Regelung wurde vor allem dahingehend erweitert, dass nunmehr auch keine entsprechend vorbelasteten Neben- oder Ehrenamtliche in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Verantwortlich dafür ist das Jugendamt, das aufgrund Art, Intensität und Dauer des Kontaktes dieser Personen auch festlegen soll, wann zwingend ein Führungszeugnis vorgelegt werden muss. Mit den freien Trägern sind darüber entsprechende Vereinbarungen abzuschließen.
Im Landkreis Coburg sind in den zurückliegenden Jahren mit allen freien
Trägern Vereinbarungen abgeschlossen worden, in denen empfohlen wird, die
bislang nur für Hauptamtliche geltenden Regelungen auch bei Ehrenamtlichen
anzuwenden. Zu einen muss eine Anpassung dieser Regelung vorgenommen werden.
Wichtiger ist aber, insbesondere mit den Trägern der Jugendarbeit –dem Bereich,
in der ehrenamtliche Aktivitäten eine wichtige Säule darstellen- Verfahren und
konkrete Regelungen gemeinsam zu entwickeln.
Verbindliche Standards in der
Kinder- und Jugendhilfe
Eine
kontinuierliche Qualitätsentwicklung wird künftig in allen Bereichen der
Kinder- und Jugendhilfe zur Pflicht. Dabei geht es insbesondere um die
Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Standards für die Sicherung der
Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und ihren Schutz vor
Gewalt. An die Umsetzung von Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung
soll sich auch die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln knüpfen.
In den Leistungsvereinbarungen mit den Trägern im Landkreis Coburg sind
Grundsätze der Qualitätsentwicklung festgelegt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Landkreis Coburg in der Umsetzung der neuen Regelungen bereits auf ein gutes Fundament aufsetzt und notwendige Erweiterungen und Anpassungen insbesondere in den „Frühen Hilfen“ bereits auf den Weg gebracht wurden.
Ungeachtet dessen sind noch zahlreiche Fragen und Verfahren offen (z.B. Familienhebammen). Und es ist derzeitig nicht einschätzbar, welche weiteren –auch finanziellen- Auswirkungen das Bundeskinderschutzgesetz vor Ort haben wird.