Beschluss: mehrheitlich beschlossen

Abstimmung: Ja: 43, Nein: 6

Beschluss:

 

Der Kreistag schließt sich der Expertise der Fachstellen des Landratsamtes Coburg an. Die Landkreise in Bayern und damit auch der Landkreis Coburg sollen durch das rahmengebende Landesentwicklungsprogramm in Zukunft in ihren eigenständigen, dynamischen Entwicklungen gestärkt werden, anstatt, wie tendenziell in der aktuellen Teilfortschreibung des LEP beabsichtigt, Ausgleichs- und Rückzugsräume für die prosperierenden und in vielen Fällen „überhitzten“ Agglomerationsräume zu sein. Bei allen richtigen Ansätzen zur Förderung von Digitalisierung und Klimaschutz müssen die Landkreise als tragende Raumeinheiten des Ländlichen Raums in Bayern im Sinne des raumordnerischen Postulats der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen Bayerns, in ihrer Entwicklung auf ökonomischen, ökologischen und sozialen Gebieten weiter aktiv gefordert, entwickelt und gefördert werden.

 

Die Landkreisverwaltung wird beauftragt ihre in diesem Sinne aufbereiteten Argumente in einer Stellungnahme des Landkreises Coburg zur aktuellen Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern (LEP) zusammenzufassen.

 

Der Landrat soll diese Stellungnahme an den Bayerischen Landkreistag weitergeben und dafür werben, dass die Argumente aus dem Coburger Land in die Stellungnahme des Verbands nach Möglichkeit übernommen werden.

 

Ferner wird der Landrat beauftragt, die Stellungnahme des Landkreises Coburg zur LEP-Teilfortschreibung beim zuständigen Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie fristgerecht abzugeben.

 


Sachverhalt:

 

Der Bayerische Ministerrat hat in seiner Sitzung am 14. Dezember 2021 den Entwurf der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern (LEP-E) zustimmend zur Kenntnis genommen.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 wurde die offizielle Verbandsanhörung (hier: Bayerischer Landkreistag) eingeleitet, die mit Ablauf des 31. März 2022 endet.

 

Laut Verbändeanhörung werden durch die Teilfortschreibung in der Verordnung über das LEP, den Festlegungen im LEP sowie im Leitbild zu folgenden drei Themenfeldern Änderungen vor­genommen:

 

1.            Für gleichwertige Lebensverhältnisse und starke Kommunen

2.            Für nachhaltige Anpassung an den Klimawandel und gesunde Umwelt

3.            Für nachhaltige Mobilität

 

Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der geänderten Festlegungen wird auf den LEP-E verwiesen. Die vorgesehenen Änderungen im LEP lassen sich der Lesefassung entnehmen, die unter https://www.landesentwicklung-bayern.de/teilfortschreibung-lep-bayern/ abgerufen werden kann.

Der LEP-E kann im Internet unter www.landesentwicklung-bayern.de eingesehen werden.

 

Der Bayerische Landkreistag hat sich über seinen Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, dem auch Landrat Sebastian Straubel angehört, am 19.01.2022 mit der Teilfortschreibung befasst (siehe Anlage). Gleichzeitig wurden die Landkreise und ihre Landratsämter in Bayern ihrerseits durch den Bayerischen Landkreistag aufgefordert, nach Möglichkeit eine Stellungnahme aus ihrer Sicht und Bewertung abzugeben.

 

Im Landratsamt Coburg hat sich der Leiter der Stabsstelle P1 Landkreisentwicklung und Wirtschaftsförderung sowie der Geschäftsbereich 4 mit dem Entwurf der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms auseinandergesetzt. Ferner wurden die kreisangehörigen Städte und Gemeinden über den Kreisvorsitzenden im Regionalverband des Bayerischen Gemeindetags (Bürgermeister Bernd Reisenweber) sowie die benachbarten Landratsämter BA, KC und LIF kontaktiert.


Die Fachstellen aus dem Landratsamt Coburg kommen vor diesen Hintergründen zu folgendem Entwurf einer Stellungnahme des Landkreises Coburg:

 

 


„Der Stellungnahme und den Beschlüssen des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr im Bayerischen Landkreistag kann aus Sicht des Landkreises Coburg zugestimmt werden.
Der Beschlussvorschlag der Ausschussmitglieder des Bayerischen Landkreistages lautet im Original:

1.    Der Ausschuss begrüßt die Fortschreibung des LEP, die insbesondere im Bereich der Digitalisierung, der Mobilität und der Energieversorgung wichtige neue Akzente setzt. Dabei wird die Stärkung der Regionalen Planungsverbände positiv gesehen.

2.    Die Streichung einzelner Ausnahmen im Bereich des Anbindegebots lehnt der Ausschuss ab. Einschränkungen im Bereich der Entwicklung von Gewerbe und Industriegebieten entlang von Autobahnanschlussstellen bzw. autobahnähnlich ausgebauten Straßen sowie interkommunaler Gewerbe- und Industriegebiete und überörtliche raumbedeutsame Freizeitanlagen bzw. dem Tourismus dienende Einrichtungen schränken die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raums gegenüber dem Istzustand unzumutbar ein. Der Ausschuss fordert darüber hinaus, dass der Katalog um eine weitere Ausnahme vom Anbindegebot für vorbelastete Flächen erweitert wird (z. B. Gebäude in ehemaligen Steinbrüchen).

3.    Die Fortschreibung des LEP zielt auf eine dezentrale Energieversorgung ab. Der Ausschuss fordert insoweit eine Klarstellung, dass sich der Ausbau von erneuerbaren Energien nicht in den Potenzialen des ländlichen Raums erschöpft, sondern auch die Ballungsgebiete ihren Beitrag zur Energieversorgung leisten und insbesondere ihre vorhandenen Potenziale (Dachflächen Fotovoltaik) nutzen müssen.

4.    Die Einschränkung der Nutzung von Tiefengrundwasser für die Trinkwasserversorgung sieht der Ausschuss mit Blick auf die in manchen Regionen bestehende Wasserknappheit der letzten Jahre kritisch. Eine Verschärfung der bisherigen Regelung lehnt der Ausschuss ab.

 

Der Landkreis Coburg regt darüber hinaus an, dass weitere Argumente in die Stellungnahme des Bayerischen Landkreistags aufgenommen werden, die die Rolle der bayerischen Landkreise im Ganzen festigen und stärken.


Generell ist den Fachstellen im Landratsamt Coburg in diesem Zusammenhang aufgefallen, dass die Erweiterungen und die neu gefassten Textpassagen in der aktuellen Teilfortschreibung des LEP Bayern durchaus auch einer Gesamtbetrachtung (nicht nur nach Einzeltextpassagen) unterzogen werden müssen. Das LEP Bayern sollte nicht nur in den einzelnen Kapiteln oder gar nach einzelnen Formulierungen beurteilt werden. Vielmehr bedarf eine Teilfortschreibung, wie die aktuelle, in Form und Umfang einer Gesamtbetrachtung. Hier wäre u.a. darauf zu achten, wie die neuen Textinhalte der Teilfortschreibung in Wechselwirkung zueinander und zu den nach wie vor bestehenden Kapiteln des LEP Bayern wirken. Das LEP Bayern wird insofern als ein raumordnungspolitischer Rahmen auf der Landesebene begriffen, der in seiner Gesamtheit auch die „Leitplanken“ für die Raum- bzw. Regionalentwicklung im Freistaat setzt und damit auch unmittelbare Lenkungswirkung auf die nachgelagerten raumordnerischen Ebenen (Regionalplanung, Landkreisentwicklung, Bauleitplanung) hat.

 

Vor diesem Hintergrund stellen die Fachebenen im Landratsamt Coburg fest, dass das LEP Bayern in seiner aktuellen Teilfortschreibung in der Gesamtsicht der geplanten Änderungen und deren Wechselwirkungen, eine (zu) starke Fokussierung auf die wirtschaftlich, demografisch und gesellschaftlich prosperierenden Zentren setzt. Der aktuelle Entwurf verfolgt stärker denn je einen funktionsräumlichen Ansatz, bei dem die Entlastung und gleichzeitig Stärkung der größeren Zentren im Fokus steht. Der ländliche Raum, der den Flächenstaat Bayern wesentlich verkörpert und hauptsächlich durch die bayerischen Landkreise abgebildet wird, gerät nach interner Analyse dabei nun deutlicher ins Hintertreffen.
Nach dem nun stärker ausgeprägten funktionsräumlichen Ansatz in der Teilfortschreibung soll allenfalls durch positive Ausstrahlungseffekte der Metropolen und größeren Zentren das umliegende Land profitieren. Direkte, eigene Entwicklungsdynamiken in den ländlichen Teilräumen sollen vielfach nicht mehr mit einer hohen Intensität verfolgt werden. Auch die Effekte der Digitalisierung sollen offensichtlich, infrastrukturell mehr in den Zentren greifen und von dort ihre Wirkung in die ländlichen Teilräume entfalten.
Der Landkreis Coburg hält diese Sichtweise für falsch und eine solche Entwicklung gefährlich für die Zukunft vieler Landkreise und deren kreisangehöriger Kommunen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die reale Entwicklung digitaler Band- und Mobilfunktechnologien, die den ländlichen Raum regelmäßig zuletzt erreichen.

 

In dieser Gesamtschau auf die aktuelle Teilfortschreibung des LEP Bayern kann in Folge auch die Frage nach der zukünftigen Bedeutung und Funktionszuweisung für die ländlichen Räume Bayerns aufgeworfen werden:

 

Dabei fällt in der fachlichen Sicht auf die geplanten Änderungen auf, dass der durchaus begrüßenswerte und wichtige Einzug des „Klimaschutzes“, der „(regenerativen) Energieversorgung“ und der „Resilienz von (Teil-)Räumen“ tendenziell eher exklusiv dem ländlichen Raum und damit in erster Linie den bayerischen Landkreisen als Aufgabe zugewiesen werden soll.

 

Hierzu ist festzustellen, dass, die Landkreise, so auch der Landkreis Coburg, bereits viele Maßnahmen ergriffen und innovative Projekte – auch mit guter Unterstützung des Freistaates Bayern umgesetzt oder auf den Weg gebracht haben. Die bayerischen Landkreise und ihre Akteure (Politik, Bürger, Unternehmen) sind bereits die Klimaschützer und Energieversorger in Bayern. Die anhaltenden Herausforderungen auf diesen Gebieten nehmen sie auch in Zukunft weiter gerne an. Wie die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr beim Bayerischen Landkreistag zuletzt auch diskutiert haben, sollen die Aufgaben in der Teilfortschreibung des LEP aber ebenso den Zentren im Freistaat aktiv zugewiesen werden. PV-Anlagen sind beispielsweise nicht nur in der Fläche umzusetzen, sondern auch in Zukunft verstärkt im Gebäudebereichen (u.a. PV-Dächer und Fassaden). Auch können beispielsweise mit konsequenten Dachbegrünungen in den verdichteten Räumen aktiver Beiträge zu den wichtigen Themen geleistet werden.

 

So finden sich in der derzeitigen Teilfortschreibung des LEP einerseits viele Ansätze dafür, wie die verdichteten (und durchaus auch „überhitzten“) Räume in Bayern entlastet werden sollen. Andererseits werden die aktiven Beiträge für diese Themen aber vornehmlich den ländlichen Räumen zugewiesen. Man gewinnt den Eindruck, dass es in erster Linie darum geht, dass vor allem der ländliche Raum die negativen Begleiterscheinungen der anhaltenden Konzentration in den bayerischen Verdichtungsräumen ausgleichen soll.

Auf S. 57 im aktuellen LEP-Entwurf ist ferner hierzu nachzulesen, dass im ländlichen Raum Bayerns „spezifische endogene Wertschöpfungspotenziale zu nutzen“ sind, „die sich insbesondere aus der verstärkten Erschließung erneuerbarer Energien, Direktvermarktung aus Land- und Forstwirtschaft sowie der Tourismuspotenziale ergeben“. Die Reduktion der Landkreise Bayerns auf die Funktion der „Energieerzeuger“(Windrad-Standorte, Großflächen-PV, Durchleitungsregionen, u.a.), landwirtschaftliche Regionalvermarktung sowie Erholungs- und Urlaubsräume tendiert schon fast in Richtung eines Offenbarungseides und Abgesangs auf die zukünftige Rolle der Räume, die den Freistaat Bayern seit jeher flächenmäßig am deutlichsten verkörpern.

Dies ist umso kritischer zu werten, als die heutigen, modernen Stärken des Freistaates, nämlich die Industrie- und Wirtschaftsstärke sowie die Technologie- und Forschungsintensität so gut wie überhaupt nicht mehr in der aktuellen Teilfortschreibung mit den ländlichen Regionen Bayerns in Verbindung gebracht werden. Dabei ist das Rückgrat der bayerischen Wirtschaft, der inhabergeführte Klein- und Mittelstand, gerade vornehmlich in den Landkreisen Bayerns zuhause. Diese klein- und mittelständischen Betriebe der Industrie und des Handwerks brauchen weniger raumordnerische Einschränkungen und stattdessen mehr und bessere Entwicklungsmöglichkeiten zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung.

 

Eine verstärkte räumliche Zusammenführung von Arbeitsplätzen und Wohnstätten ist in diesem Kontext zwar grundsätzlich wünschenswert, allerdings gerade im ländlichen Raum, wie es der Landkreis Coburg ist, kaum umzusetzen. Vor diesem Hintergrund kann gerade der Grundsatz der Teilfortschreibung, dass die Ausweisung größerer Siedlungsflächen überwiegend an Standorten erfolgen soll, an denen ein räumlich gebündeltes Angebot an öffentlichen und privaten Dienstleistungs-,  Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen in fußläufiger Erreichbarkeit vorhanden ist oder geschaffen wird, negative Auswirkungen auf die Siedlungspolitik der Kommunen im Landkreis zeitigen.

 

Insgesamt ist der Grundtenor der aktuellen Teilfortschreibung des LEP gerade im Bereich der Wirtschaftsförderung und -entwicklung eher reglementierend als fördernd. Das eigentlich postulierte Ziel, Klima- und Ressourcenschutz mit einer positiven Wirtschaftsentwicklung in Einklang zu bringen, kommt  deshalb in Bezug auf eine positive Entwicklung der bayerischen Wirtschaft in den einzelnen Kapiteln des aktuellen LEP-Entwurfs zu kurz.

 

Darüber hinaus fallen die Ansätze in der neuen Teilfortschreibung zu oft und einseitig in Richtung neuer Reglementierungen aus. Deren praktische Umsetzung lässt eine Zunahme an Bürokratie für Klima- und Umweltschutz erwarten. Dabei wäre in Anbetracht sich ohnehin bereits abzeichnender De-Industriealisierungstendenzen in Deutschland eine Raumentwicklung mit hoher Technologieaffinität (auch und vor allem auch für den Klima- und Umweltschutz) eine wünschenswerte Alternative im Landesentwicklungsprogramm Bayern.

Eine solche Innovationsorientierung, die die Wettbewerbsfähigkeit aller Teilräume in Bayern sichern sollte, ist in Ansätzen in den Kapiteln „Mobilität und Verkehr“ sowie „Energieversorgung“ erkennbar. Im Sinne weiter vorne bereits eingeforderten, aktiven Beiträge der Verdichtungsräume für Klima- und Umweltschutz dürfen diese innovativen Ansätze in der Teilfortschreibung des LEP aber durchaus umfänglicher Raum greifen – gerne und besonders auch für die positive Entwicklung in den bayerischen Landkreisen.

Mit Blick auf den ländlichen Raum Bayerns und damit mit dem Fokus auf die bayerischen Landkreise sollte das LEP Bayern darum aus Sicht der Fachebenen des Landkreises Coburg etwas weniger „schützendes Regelwerk“ und deutlich mehr „innovatives Chancen-Programm“ für die Raumentwicklung in Bayern sein.


Die Landkreise Bayerns bieten dafür beste Voraussetzungen. Der ländliche Raum darf nicht, wie in der Teilfortschreibung des LEP in Ansätzen zu erkennen, zum „Restraum“ in einem funktionsräumlichen Ansatz verkümmern. Er muss vielmehr über die starken Landkreise eine aktive Säule und wesentliche Stärke der Landesentwicklung in Bayern bleiben.“