Sitzung: 24.02.2022 Kreistag
Beschluss: mehrheitlich beschlossen
Abstimmung: Ja: 43, Nein: 6
Vorlage: 013/2022
Beschluss:
Der Kreistag schließt sich der Expertise der Fachstellen des Landratsamtes Coburg an. Die Landkreise in Bayern und damit auch der Landkreis Coburg sollen durch das rahmengebende Landesentwicklungsprogramm in Zukunft in ihren eigenständigen, dynamischen Entwicklungen gestärkt werden, anstatt, wie tendenziell in der aktuellen Teilfortschreibung des LEP beabsichtigt, Ausgleichs- und Rückzugsräume für die prosperierenden und in vielen Fällen „überhitzten“ Agglomerationsräume zu sein. Bei allen richtigen Ansätzen zur Förderung von Digitalisierung und Klimaschutz müssen die Landkreise als tragende Raumeinheiten des Ländlichen Raums in Bayern im Sinne des raumordnerischen Postulats der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen Bayerns, in ihrer Entwicklung auf ökonomischen, ökologischen und sozialen Gebieten weiter aktiv gefordert, entwickelt und gefördert werden.
Die Landkreisverwaltung wird beauftragt ihre in diesem Sinne aufbereiteten Argumente in einer Stellungnahme des Landkreises Coburg zur aktuellen Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern (LEP) zusammenzufassen.
Der Landrat soll diese Stellungnahme an den Bayerischen Landkreistag weitergeben und dafür werben, dass die Argumente aus dem Coburger Land in die Stellungnahme des Verbands nach Möglichkeit übernommen werden.
Ferner wird der Landrat beauftragt, die Stellungnahme des Landkreises Coburg zur LEP-Teilfortschreibung beim zuständigen Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie fristgerecht abzugeben.
Sachverhalt:
Mit
Schreiben vom 20. Dezember 2021 wurde die offizielle Verbandsanhörung (hier:
Bayerischer Landkreistag) eingeleitet, die mit Ablauf des 31. März 2022 endet.
Laut
Verbändeanhörung werden durch die Teilfortschreibung in der Verordnung über das
LEP, den Festlegungen im LEP sowie im Leitbild zu folgenden drei Themenfeldern Änderungen vorgenommen:
1.
Für gleichwertige Lebensverhältnisse und
starke Kommunen
2.
Für nachhaltige Anpassung an den Klimawandel
und gesunde Umwelt
3.
Für nachhaltige Mobilität
Hinsichtlich
der konkreten Ausgestaltung der geänderten Festlegungen wird auf den LEP-E
verwiesen. Die vorgesehenen Änderungen im LEP lassen sich der Lesefassung
entnehmen, die unter https://www.landesentwicklung-bayern.de/teilfortschreibung-lep-bayern/ abgerufen werden kann.
Der
LEP-E kann im Internet unter www.landesentwicklung-bayern.de eingesehen werden.
Der
Bayerische Landkreistag hat sich über seinen Ausschuss für Wirtschaft und
Verkehr, dem auch Landrat Sebastian Straubel angehört, am 19.01.2022 mit der
Teilfortschreibung befasst (siehe Anlage). Gleichzeitig wurden die Landkreise
und ihre Landratsämter in Bayern ihrerseits durch den Bayerischen Landkreistag
aufgefordert, nach Möglichkeit eine Stellungnahme aus ihrer Sicht und Bewertung
abzugeben.
Im
Landratsamt Coburg hat sich der Leiter der Stabsstelle P1 Landkreisentwicklung
und Wirtschaftsförderung sowie der Geschäftsbereich 4 mit dem Entwurf der
Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms auseinandergesetzt. Ferner
wurden die kreisangehörigen Städte und Gemeinden über den Kreisvorsitzenden im
Regionalverband des Bayerischen Gemeindetags (Bürgermeister Bernd Reisenweber)
sowie die benachbarten Landratsämter BA, KC und LIF kontaktiert.
Die Fachstellen aus dem Landratsamt Coburg kommen vor diesen Hintergründen zu
folgendem Entwurf einer Stellungnahme des Landkreises Coburg:
„Der Stellungnahme und den Beschlüssen des Ausschusses für
Wirtschaft und Verkehr im Bayerischen Landkreistag kann aus Sicht des
Landkreises Coburg zugestimmt werden.
Der Beschlussvorschlag der Ausschussmitglieder des Bayerischen Landkreistages
lautet im Original:
1. Der Ausschuss begrüßt die Fortschreibung des LEP, die insbesondere im Bereich der
Digitalisierung, der Mobilität und der Energieversorgung wichtige neue Akzente
setzt. Dabei wird die Stärkung der Regionalen Planungsverbände positiv gesehen.
2. Die Streichung
einzelner Ausnahmen im Bereich des Anbindegebots lehnt der Ausschuss ab.
Einschränkungen im Bereich der Entwicklung von Gewerbe und Industriegebieten
entlang von Autobahnanschlussstellen bzw. autobahnähnlich ausgebauten Straßen
sowie interkommunaler Gewerbe- und Industriegebiete und überörtliche
raumbedeutsame Freizeitanlagen bzw. dem Tourismus dienende Einrichtungen
schränken die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raums gegenüber dem
Istzustand unzumutbar ein. Der Ausschuss fordert darüber hinaus, dass der
Katalog um eine weitere Ausnahme vom Anbindegebot für vorbelastete Flächen
erweitert wird (z. B. Gebäude in ehemaligen Steinbrüchen).
3. Die Fortschreibung des LEP zielt auf eine
dezentrale Energieversorgung ab. Der Ausschuss fordert insoweit eine
Klarstellung, dass sich der Ausbau von erneuerbaren Energien nicht in den
Potenzialen des ländlichen Raums erschöpft, sondern auch die Ballungsgebiete
ihren Beitrag zur Energieversorgung leisten und insbesondere ihre vorhandenen
Potenziale (Dachflächen Fotovoltaik) nutzen müssen.
4. Die Einschränkung der Nutzung von Tiefengrundwasser
für die Trinkwasserversorgung sieht der Ausschuss mit Blick auf die in manchen
Regionen bestehende Wasserknappheit der letzten Jahre kritisch. Eine
Verschärfung der bisherigen Regelung lehnt der Ausschuss ab.
Der Landkreis Coburg regt darüber hinaus an, dass weitere Argumente in die Stellungnahme
des Bayerischen Landkreistags aufgenommen werden, die die Rolle der bayerischen Landkreise im Ganzen festigen und stärken.
Generell ist den Fachstellen im Landratsamt Coburg in diesem Zusammenhang aufgefallen,
dass die Erweiterungen und die neu gefassten Textpassagen in der aktuellen
Teilfortschreibung des LEP Bayern durchaus auch einer Gesamtbetrachtung (nicht nur nach Einzeltextpassagen) unterzogen
werden müssen. Das LEP Bayern sollte nicht nur in den einzelnen Kapiteln oder
gar nach einzelnen Formulierungen beurteilt werden. Vielmehr bedarf eine
Teilfortschreibung, wie die aktuelle, in Form und Umfang einer
Gesamtbetrachtung. Hier wäre u.a. darauf zu achten, wie die neuen Textinhalte
der Teilfortschreibung in Wechselwirkung
zueinander und zu den nach wie vor bestehenden Kapiteln des LEP Bayern
wirken. Das LEP Bayern wird insofern als ein raumordnungspolitischer Rahmen auf
der Landesebene begriffen, der in seiner Gesamtheit auch die „Leitplanken“ für
die Raum- bzw. Regionalentwicklung im Freistaat setzt und damit auch
unmittelbare Lenkungswirkung auf die nachgelagerten raumordnerischen Ebenen
(Regionalplanung, Landkreisentwicklung, Bauleitplanung) hat.
Vor diesem Hintergrund stellen die Fachebenen im Landratsamt
Coburg fest, dass das LEP Bayern in seiner aktuellen Teilfortschreibung in der
Gesamtsicht der geplanten Änderungen und deren Wechselwirkungen, eine (zu) starke Fokussierung auf die
wirtschaftlich, demografisch und gesellschaftlich prosperierenden Zentren
setzt. Der aktuelle Entwurf verfolgt stärker denn je einen funktionsräumlichen
Ansatz, bei dem die Entlastung und gleichzeitig Stärkung der größeren Zentren
im Fokus steht. Der ländliche Raum,
der den Flächenstaat Bayern wesentlich verkörpert und hauptsächlich durch die
bayerischen Landkreise abgebildet wird, gerät nach interner Analyse dabei nun deutlicher ins Hintertreffen.
Nach dem nun stärker ausgeprägten funktionsräumlichen Ansatz in der
Teilfortschreibung soll allenfalls durch positive
Ausstrahlungseffekte der Metropolen und größeren Zentren das umliegende
Land profitieren. Direkte, eigene
Entwicklungsdynamiken in den ländlichen Teilräumen sollen vielfach nicht mehr mit einer hohen Intensität
verfolgt werden. Auch die Effekte der Digitalisierung sollen offensichtlich,
infrastrukturell mehr in den Zentren greifen und von dort ihre Wirkung in die
ländlichen Teilräume entfalten.
Der Landkreis Coburg hält diese Sichtweise für falsch und eine solche
Entwicklung gefährlich für die Zukunft vieler Landkreise und deren
kreisangehöriger Kommunen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang beispielsweise
auf die reale Entwicklung digitaler Band- und Mobilfunktechnologien, die den
ländlichen Raum regelmäßig zuletzt erreichen.
In dieser Gesamtschau auf die aktuelle Teilfortschreibung des LEP
Bayern kann in Folge auch die Frage nach der zukünftigen Bedeutung und Funktionszuweisung für die ländlichen Räume
Bayerns aufgeworfen werden:
Dabei fällt in der fachlichen Sicht auf die geplanten Änderungen
auf, dass der durchaus begrüßenswerte und wichtige Einzug des „Klimaschutzes“, der „(regenerativen)
Energieversorgung“ und der „Resilienz von (Teil-)Räumen“ tendenziell eher
exklusiv dem ländlichen Raum und damit in erster Linie den bayerischen
Landkreisen als Aufgabe zugewiesen werden soll.
Hierzu ist festzustellen, dass, die Landkreise, so auch der
Landkreis Coburg, bereits viele Maßnahmen ergriffen und innovative Projekte –
auch mit guter Unterstützung des Freistaates Bayern umgesetzt oder auf den Weg
gebracht haben. Die bayerischen
Landkreise und ihre Akteure (Politik, Bürger, Unternehmen) sind bereits die
Klimaschützer und Energieversorger in Bayern. Die anhaltenden
Herausforderungen auf diesen Gebieten nehmen sie auch in Zukunft weiter gerne
an. Wie die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr beim
Bayerischen Landkreistag zuletzt auch diskutiert haben, sollen die Aufgaben in
der Teilfortschreibung des LEP aber ebenso
den Zentren im Freistaat aktiv zugewiesen werden. PV-Anlagen sind
beispielsweise nicht nur in der Fläche umzusetzen, sondern auch in Zukunft
verstärkt im Gebäudebereichen (u.a. PV-Dächer und Fassaden). Auch können
beispielsweise mit konsequenten Dachbegrünungen in den verdichteten Räumen
aktiver Beiträge zu den wichtigen Themen geleistet werden.
So finden sich in der derzeitigen Teilfortschreibung des LEP
einerseits viele Ansätze dafür, wie die
verdichteten (und durchaus auch „überhitzten“) Räume in Bayern entlastet
werden sollen. Andererseits werden die aktiven Beiträge für diese Themen aber
vornehmlich den ländlichen Räumen zugewiesen. Man gewinnt den Eindruck, dass es
in erster Linie darum geht, dass vor allem der ländliche Raum die negativen
Begleiterscheinungen der anhaltenden Konzentration in den bayerischen
Verdichtungsräumen ausgleichen soll.
Auf S. 57 im aktuellen LEP-Entwurf ist ferner hierzu nachzulesen,
dass im ländlichen Raum Bayerns „spezifische endogene Wertschöpfungspotenziale
zu nutzen“ sind, „die sich insbesondere aus der verstärkten Erschließung
erneuerbarer Energien, Direktvermarktung aus Land- und Forstwirtschaft sowie
der Tourismuspotenziale ergeben“. Die Reduktion
der Landkreise Bayerns auf die Funktion der „Energieerzeuger“(Windrad-Standorte,
Großflächen-PV, Durchleitungsregionen, u.a.), landwirtschaftliche Regionalvermarktung sowie Erholungs- und Urlaubsräume tendiert schon fast in Richtung eines
Offenbarungseides und Abgesangs auf die zukünftige Rolle der Räume, die den
Freistaat Bayern seit jeher flächenmäßig am deutlichsten verkörpern.
Dies ist umso kritischer zu werten, als die heutigen, modernen
Stärken des Freistaates, nämlich die Industrie- und Wirtschaftsstärke sowie die
Technologie- und Forschungsintensität so gut wie überhaupt nicht mehr in der
aktuellen Teilfortschreibung mit den ländlichen Regionen Bayerns in Verbindung
gebracht werden. Dabei ist das Rückgrat der bayerischen Wirtschaft, der inhabergeführte Klein- und Mittelstand,
gerade vornehmlich in den Landkreisen
Bayerns zuhause. Diese klein-
und mittelständischen Betriebe der Industrie und des Handwerks brauchen weniger
raumordnerische Einschränkungen und stattdessen mehr und bessere
Entwicklungsmöglichkeiten zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und
Wertschöpfung.
Eine verstärkte räumliche Zusammenführung von Arbeitsplätzen und
Wohnstätten ist in diesem Kontext zwar grundsätzlich wünschenswert, allerdings
gerade im ländlichen Raum, wie es der Landkreis Coburg ist, kaum umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund kann gerade der Grundsatz der Teilfortschreibung, dass
die Ausweisung größerer Siedlungsflächen überwiegend an Standorten erfolgen
soll, an denen ein räumlich gebündeltes Angebot an öffentlichen und privaten
Dienstleistungs-, Versorgungs- und
Infrastruktureinrichtungen in fußläufiger Erreichbarkeit vorhanden ist oder
geschaffen wird, negative Auswirkungen auf die Siedlungspolitik der Kommunen im
Landkreis zeitigen.
Insgesamt ist der Grundtenor
der aktuellen Teilfortschreibung des LEP gerade im Bereich der
Wirtschaftsförderung und -entwicklung eher
reglementierend als fördernd. Das eigentlich postulierte Ziel, Klima- und
Ressourcenschutz mit einer positiven
Wirtschaftsentwicklung in Einklang zu bringen, kommt deshalb in Bezug auf eine positive
Entwicklung der bayerischen Wirtschaft in den einzelnen Kapiteln des aktuellen
LEP-Entwurfs zu kurz.
Darüber hinaus fallen die Ansätze in der neuen Teilfortschreibung
zu oft und einseitig in Richtung neuer
Reglementierungen aus. Deren praktische Umsetzung lässt eine Zunahme an Bürokratie für Klima- und
Umweltschutz erwarten. Dabei wäre in Anbetracht sich ohnehin bereits
abzeichnender De-Industriealisierungstendenzen in Deutschland eine Raumentwicklung mit hoher
Technologieaffinität (auch und vor allem auch für den Klima- und
Umweltschutz) eine wünschenswerte
Alternative im Landesentwicklungsprogramm Bayern.
Eine solche Innovationsorientierung,
die die Wettbewerbsfähigkeit aller Teilräume in Bayern sichern sollte, ist in
Ansätzen in den Kapiteln „Mobilität und Verkehr“ sowie „Energieversorgung“
erkennbar. Im Sinne weiter vorne bereits eingeforderten, aktiven Beiträge der
Verdichtungsräume für Klima- und Umweltschutz dürfen diese innovativen Ansätze in der Teilfortschreibung des LEP aber durchaus
umfänglicher Raum greifen – gerne und besonders auch für die positive
Entwicklung in den bayerischen Landkreisen.
Mit Blick auf den ländlichen Raum Bayerns und damit mit dem Fokus auf die
bayerischen Landkreise sollte das LEP Bayern darum aus Sicht der Fachebenen des
Landkreises Coburg etwas weniger
„schützendes Regelwerk“ und deutlich
mehr „innovatives Chancen-Programm“ für die Raumentwicklung in Bayern sein.
Die Landkreise Bayerns bieten dafür beste Voraussetzungen. Der ländliche Raum darf nicht, wie in der
Teilfortschreibung des LEP in Ansätzen zu erkennen, zum „Restraum“ in einem funktionsräumlichen Ansatz verkümmern. Er
muss vielmehr über die starken
Landkreise eine aktive Säule und wesentliche Stärke der Landesentwicklung in
Bayern bleiben.“