Beschluss: Kenntnis genommen

Sachverhalt:

 

Stationäre Jugendhilfemaßnahmen werden zwar fast ausschließlich in Deutschland erbracht. In besonders gelagerten Einzelfällen erfolgt die Leistungserbringung aber auch im Ausland. Dies ist keineswegs eine neue Situation, sondern wird seit vielen Jahren praktiziert. So wurden z.B. in einer von 1996 bis 1998 durchgeführten Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 566 entsprechende Maßnahmen untersucht[1].

Nachdem zunächst überhaupt keine einschlägigen Regelungen zur Auslandsmaßnahmen bestanden, wurde dies 2005 mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) geändert.

Gesetzliche Grundlagen


In § 27 Abs. 2 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) ist festgelegt, dass die Hilfe in der Regel im Inland zu erbringen ist, „sie darf nur dann im Ausland erbracht werden, wenn dies nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des Hilfezieles im Einzelfall erforderlich ist.“

Festgelegt ist für solche Einzelfälle, dass vor einer Entscheidung über die Gewährung einer Hilfe, die ganz oder teilweise im Ausland erbracht wird, eine kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme einzuholen ist. (§ 36 Abs. 4 SGB VIII)

Ø  Damit ist die Vorgehensweise für den Einzelfall festgelegt:
Für keinen jungen Menschen darf ohne eine besondere Prüfung unter Einbeziehung mehrerer Fachkräfte und der Vorgesetzten eine Jugendhilfemaßnahme im Ausland geplant werden.

Ø  Kein junger Mensch darf ohne ein entsprechendes Gutachten im Ausland untergebracht werden – und wenn dieses im Ergebnis eine solche Maßnahme fachlich nicht mitträgt, wird sie auch nicht realisiert.

 

Für Träger jeglicher stationärer Jugendhilfe gilt, dass sie eine Vereinbarung über das von Ihnen berechnete Leistungsentgelt abschließen müssen; für die Anbieter von  Auslandsmaßnahmen ist vorgeschrieben, dass nur dann eine Vereinbarung über das zu zahlende Leistungsentgelt geschlossen werden darf, wenn sie „….

1. anerkannte Träger der Jugendhilfe oder Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung im Inland sind, in der Hilfe zur Erziehung erbracht wird,

2. mit der Erbringung solcher Hilfen nur Fachkräfte im Sinne des § 72 Absatz 1 betrauen und

3. die Gewähr dafür bieten, dass sie die Rechtsvorschriften des Aufenthaltslandes einhalten und mit den Behörden des Aufenthaltslandes sowie den deutschen Vertretungen im Ausland zusammenarbeiten.“ (§ 78b SGB VIII)


Nicht geregelt ist die Frage der Fachaufsicht über Auslandsmaßnahmen oder die Festlegung qualitativer Standards. Es bleibt dabei dem örtlich belegenden Jugendamt überlassen, diese einzufordern und zu kontrollieren.

Des Weiteren ist das Jugendamt für den konkreten Einzelfall und die konkrete Auslandsmaßnahme verpflichtet, das Konsultationsverfahren gem. Brüssel IIa Verordnung oder –wenn es sich um Nicht-EU-Mitgliedsstaaten handelt- die Regelungen des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ) umzusetzen.

Nur mit Zustimmung des Aufnahmelandes zur konkreten Unterbringung ist diese auch zu realisieren.

 

Fachliche Gründe für Auslandsmaßnahmen

 

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe als bundesweiter Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe hat sich in einem Positionspapier zu den Auslandsmaßnahmen wie folgt geäußert:
„Hilfen im Ausland sind dann in Einzelfällen die notwendige und geeignete Hilfe, wenn die besonderen Rahmenbedingungen des Landes (z. B. Infrastruktur und Landschaft) verbunden mit dem individuellen pädagogischen Konzept die Möglichkeit bieten, Kinder

und Jugendliche zu erreichen (mit den Zielen einer Neuorientierung und Anstößen zu Verhaltensänderungen), bei denen dies in Hilfesettings unter den Rahmenbedingungen des Inlands nicht gelingt bzw. gelungen ist.“[2]

 

Konkreter formuliert heißt das, das eine Auslandsmaßnahme dann angedacht wird, wenn

ü  vorangegangene, umfangreiche Hilfen gescheitert sind

ü  eine große zeitliche, räumliche und kulturelle Distanz zum Herkunftsmilieu und

ü  eine sehr reizarme Umgebung und

ü  die wegen der Entfernung und der Fremdheit entstehende Notwendigkeit, sich auf erwachsene Fachleute einlassen zu müssen und

ü  klare Strukturen eines relativ streng geregelten und begleiteten (beaufsichtigten) Arbeits- und Lernprogramms

erforderlich sind und kein Träger diese Bedingungen für eine Hilfe im Inland bietet.

 

Zur Situation im Landkreis Coburg

In den zurückliegenden 10 Jahren wurden 7 Kinder und Jugendliche in Auslandsmaßnahmen verschiedener Träger innerhalb der EU untergebracht, von denen noch drei im Ausland leben.

Alle im Ausland untergebrachten Kinder und Jugendliche waren zum Zeitpunkt der Aufnahme im Auslandsprojekt sog. „Systemsprenger“, die zuvor in (mehreren) Wohngruppen bis hin zur „geschlossenen“ Unterbringung mit gerichtlicher Genehmigung nicht haltbar und z.T. seit Jahren bereits nicht mehr beschulbar waren. Alle waren in langanhaltender kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung. Einige waren bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Die vier zurückgekehrten inzwischen jungen Erwachsenen haben ihre Jugendhilfe“karriere“ erfolgreich beendet:

Keine von ihnen ist im Ausland oder nach der Rückkehr nach Deutschland nochmals strafrechtlich in Erscheinung getreten.
A ist nach ihrer Rückkehr in eine eigene Wohnung in Deutschland gezogen und lebt dort nach einer kurzen Verselbständigungsbegleitung seit mehreren Jahren trotz einer massiven psychischen Erkrankung stabil selbständig und ohne weitere Hilfe.
B hat die Mittlere Reife und danach hier eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, C den Mittelschulabschluss und D das Abitur gemacht. Beide befinden sich jetzt im 2. Ausbildungsjahr. Alle drei leben selbständig und ohne weiteren Jugendhilfebedarf in Deutschland.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden bei der Planung und Umsetzung einer Hilfe im Ausland selbstverständlich alle eingehalten.
Für alle Auslandsmaßnahmen liegt eine abgeschlossene Entgeltvereinbarung gem. § 78 b SGB VIII vor, die am jeweiligen Hauptstandort des Trägers mit den dort zuständigen Behörden verhandelt wurde. Deren Zusammensetzung wird vom Landkreis Coburg nicht erneut geprüft. Es ist aus der Entgeltvereinbarung nicht zu ersehen, wie der Träger seine angestellten Fachkräfte im Ausland bezahlt. Das wird aber auch bei Maßnahmen im Inland nicht erneut geprüft, da generell die Verhandlung des Entgeltsatzes bereits durch eine anderes Jugendamt, ein Landesjugendamt oder eine andere übergeordnete Behörde wie z.B. in Bayern die Entgeltkommission erfolgt ist.

Darüber hinaus gelten im Amt für Jugend und Familie des Landkreises Coburg folgende Rahmenbedingungen:

·         Die Unterbringungsform ist immer eine Familie, in der mind. einer der Elternteile eine abgeschlossene pädagogische Ausbildung hat.

·         Der Träger legt eine Konzeption vor, aus der auch die übergeordnete Begleitung, Entlastungsmöglichkeiten und therapeutische Leistungen hervorgehen.

·         Alle Beteiligten –der Minderjährige, seine Familie, die aufnehmende Familie, die vor Ort zuständigen Koordinatoren, der/die zuständige Mitarbeiter*in des ASD, ggf. der Vormund- lernen sich vor der Unterbringung kennen.

·         Alle Minderjährigen werden über die Flex-Fernschule beschult und –je nach Alter- auf die Externenprüfung an einer Schule in Deutschland vorbereitet.

·         Die Hilfeplangespräche finden verbindlich mind. alle 6 Monate mit allen Beteiligten vor Ort in der Auslandsmaßnahme statt. Davon abgewichen wird, wenn die Rückführung nach Deutschland vorbereitet wird.

·         In den dazwischen liegenden Monaten findet der Kontakt telefonisch statt.

·         Der Träger legt monatlich einen schriftlichen Bericht zum Hilfeverlauf vor.

·         Die Minderjährigen halten in der Regel über Skype etc. Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie.

·         Anlassbezogen können kurzfristig angesetzte Kontrollbesuche in der Auslandsmaßnahme stattfinden. Dies wurde auch bereits realisiert.

 



[1] Klawe/Bräuer, 1998

[2] Hilfen für Kinder und Jugendliche nach §§ 27, 35 oder 41 SGB VIII im Ausland - Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für

Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, August 2007