Sitzung: 11.07.2017 Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport
Beschluss: Kenntnis genommen
Vorlage: 083/2017
Sachverhalt:
§ 33 SGB VIII Vollzeitpflege
Hilfe
zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und
Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen
Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in
der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine
zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform
bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete
Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.
Die Unterbringung eines jungen Menschen in einer Pflegefamilie ist eine
vollstationäre Jugendhilfemaßnahme außerhalb des Elternhauses. Im Unterschied
zur Heimerziehung wird diese Leistung in der Regel jedoch nicht von pädagogisch
qualifiziertem Personal erbracht.
Pflegeeltern sind rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr fast ehrenamtlich
Tätige, die anspruchsvolle Aufgaben zu erledigen haben.
Sie versorgen und erziehen eines oder mehrere Kinder, die mit einer
meist problematischen eigenen Familiengeschichte in ihrem Haushalt aufgenommen
wurden. Sie geben diesen Kindern ein Ersatz-Zuhause auf Zeit oder auf Dauer.
Sie nehmen sich damit auch mittelbar der leiblichen Eltern ihrer Pflegekinder an,
müssen ihnen mit Akzeptanz begegnen, begleiten manchmal die Besuchskontakte und
sind „Leistungserbringer“ im gesetzlich vorgeschriebenen Hilfeplanverfahren.
Pflegefamilien sind ein nicht ersetzbarer Gewinn für die Jugendhilfe und
noch viel mehr für die Kinder, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in
ihrer leiblichen Familie aufwachsen können.
Vorgeschichte
Im Ausschuss für Jugend und Familie am 12.07.2011 wurde ausführlich über
Pflegefamilien und den damals bestehenden Handlungsbedarf informiert. Zu diesem
Zeitpunkt waren durchschnittlich zwischen 50 und 60 Pflegekinder in
Pflegefamilien untergebracht. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der
Fraktionen und der Verwaltung, erarbeitete seinerzeit ein neues Konzept, das
vorerst für 3 Jahre angelegt war und den qualitativen und quantitativen Ausbau
der Vollzeitpflege zum Ziel hatte.
Das Projekt auf der Grundlage einer Pflegekinderkonzeption erwies sich
als Erfolg.
Das wichtigste Ergebnis war, dass zum Auswertungszeitpunkt im Juli 2015 14 neue
Plätze in Pflegefamilien gewonnen waren (2012: 78, 2015: 92) und die Anzahl
sonderpädagogischer Plätze um 5 (2012: 1, 2015: 6) gesteigert werden konnte.
Der Ausschuss für Jugend und Familie beschloss deshalb in der Sitzung
vom 14.07.2015
das erarbeitete Pflegekinderkonzept in den Regelbetrieb zu überführen
und die für den Projektzeitraum befristet geschaffene 0,5 Fachkraftstelle
dauerhaft einzusetzen.
Entwicklung 2015 –
2017
2015 und 2016 konnten die erreichten Ergebnisse konstant gehalten
werden.
Außen vor bleibt dabei der Blick auf die Pflegefamilien, die unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge bei sich aufnahmen. Diese Familien waren vorher keine
Pflegeeltern, sondern wurden gezielt für diese „neue Zielgruppe“ in der
Jugendhilfe gewonnen. Z.Zt. sind 22 umA in 17 Pflegefamilien untergebracht.
Seit Umsetzung des Pflegekinderkonzeptes werden Kinder unter 10 Jahren
nur noch in Ausnahmesituationen (schwere Traumatisierung; mehrere
Geschwisterkinder, die nicht getrennt werden sollten; erforderlicher Ablösungsprozess
aus der Herkunftsfamilie) in Heimerziehung untergebracht. Über 95% der Kinder
im Landkreis Coburg, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können,
leben in Pflegefamilien.
Die Altersstruktur ist dennoch wesentlich weiter aufgefächert. Mit
Stichtag 01.06.2017 besuchen 73% der Pflegekinder die Schule oder befinden sich
in Ausbildung:
Alle Jugendlichen in Vollzeitpflege haben in den vergangenen Jahren
einen Schulabschluss erreicht und eine Ausbildung absolviert oder ein Studium
aufgenommen.
Seit Mitte 2016 wächst die Vollzeitpflege wieder:
Noch deutlicher wird das, wenn man die Verlaufszahlen –wieviel Kinder
haben in den zurückliegenden 12 Monaten in einer Pflegefamilie gelebt- betrachtet:
Bis Mitte 2016 erhielten 100 junge Menschen eine Hilfe zur Erziehung in
einer Pflegefamilie; hinzu kommen weitere 24 Minderjährige, die vorübergehend
in Bereitschaftspflege untergebracht waren.
Bis Mitte 2017 wurden bereits 116 Vollzeitpflegeverhältnisse gezählt, denen 12
Bereitschaftspflegen hinzugerechnet werden müssen.
Diese Entwicklung ist positiv, gewollt, sowie fachlich und finanziell
sinnvoll. Jedes Kind in einer Pflegefamilie kann –gleich aus welchem Grund-
nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen und müsste, wenn es nicht in
einer Pflegefamilie ein neues Zuhause gefunden hätte, in einer Heimeinrichtung
leben. Die Kosten für einen Platz in der stationären Unterbringung liegen aber
durchschnittlich um das 4-5fache über den Ausgaben für einen Platz in der
Vollzeitpflege.
Aber: Bei gleichbleibendem Personalstand hat der Zugewinn an neuen
Pflegefamilien auch zur Folge, dass der kalkulierte Zeitbedarf in den
Pflegefamilien nicht mehr so realisiert werden kann, wie dies mit dem
Pflegekinderkonzept beabsichtigt war. Qualitative Einbußen sind damit
unvermeidbar:
- So finden die eigentlich wichtige
Arbeit der Pflegeelternakquise und die Öffentlichkeitsarbeit
aktuell nicht statt.
- Die enge Begleitung einer neuen
Pflegefamilie bei der erstmaligen Aufnahme eines Kindes in Form von 1-2x wöchentlichen Gesprächen kann nicht
geleistet werden.
- Weiterhin ist es nicht umsetzbar,
Vorbereitungskurse sowie eine Evaluation durchzuführen.
Folgerichtig müsste nun -entsprechend dem Zuwachs an Pflegeverhältnissen-
Personal aufgestockt werden. Das aber wird derzeitig zurückgestellt, um
zunächst zu prüfen, ob dieses erstaunlich hohe Niveau an Pflegefamilien
gehalten werden kann oder ob es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt.
Überbrückungsweise werden für Teilaufgaben
Honorarkräfte eingesetzt. Diese sollen die Begleitung von Umgangskontakten
zwischen den Pflegekindern und ihren leiblichen Eltern übernehmen. Geplant ist,
Vorbereitungsseminare von Dritten durchführen zu lassen und allen neuen
Pflegeverhältnissen das Angebot externer Begleitung zu ermöglichen.
Sollten über einen längeren Zeitraum konstant deutlich mehr als 100
Vollzeitpflegen im Landkreis Coburg aktiv sein, wird eine dem Zuwachs
entsprechende Personalausweitung dem Ausschuss für Jugend und Familie zur
Entscheidung vorgelegt.
Materielle
Leistungen in der Vollzeitpflege
1.
Unterhaltsbedarf
§ 39 SGB VIII verpflichtet dazu, bei Vollzeitpflege den notwendigen
Unterhalt des jungen Menschen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Der
Unterhaltsbedarf deckt den gesamten regelmäßig wiederkehrenden Lebensbedarf des
jungen Menschen.
Der Landkreis Coburg wendet bei der Zahlung der Pflegegeldpauschale grundsätzlich
die Empfehlungen des Bayerischen Städte- und Landkreistages an. Die
Empfehlungen stützen sich auf den Mindestunterhalt nach § 1612 a BGB.
Pflegeeltern werden damit fiktiv den Unterhalt beziehenden Eltern
gleichgestellt. Der Städte- und Landkreistag schreibt die Pflegegeldpauschale
jährlich fort. Diese Fortschreibung ist im Landkreis Coburg bislang nicht
nachvollzogen worden.
Aktuell erhalten Pflegefamilien – inklusive Kindergeld – folgende
finanzielle Leistungen:
Altersstufe |
Unterhaltsbedarf |
Erziehungsbeitrag |
Summe (Pflegepauschale) |
0 – 5 Jahre |
450 € |
300 € |
750 € |
6 – 11 Jahre |
544 € |
844 € |
|
Ab 12 Jahren |
668 € |
968 € |
Mit den aktuellen Empfehlungen erhöht sich der Unterhaltsbedarf –je nach Alter-
um 42-60 €:
Altersstufe |
Unterhaltsbedarf |
Erziehungsbeitrag |
Summe (Pflegepauschale) |
0 – 5 Jahre |
450 € + 42 € = 492
€ |
300 € |
792 € |
6 – 11 Jahre |
544 € + 50 € = 594
€ |
894 € |
|
Ab 12 Jahren |
668 € + 60 € = 728
€ |
1.028 € |
Die Anpassung zum 01.07.2017 bedeuten für den Landkreis Coburg
Mehrausgaben in Höhe von ca. 27.000 €.
Vorgeschlagen wird, die aktuellen Empfehlungen des Städte- und
Landkreistages zum 01.07.2017 anzuwenden und künftig die jährlichen Anpassungen
umzusetzen.
2.
Kostenbeitrag von Pflegekindern in Ausbildung
Nehmen Pflegekinder nach erfolgreichem Schulabschluss eine Ausbildung
auf, erzielen sie damit Einkommen. Gesetzlich normiert ist, dass sie mit 75%
dieses Einkommens zu den Kosten der Hilfe (das o.g. Pflegegeld) beitragen
müssen. Diese Berechnung wurde bislang im Landkreis Coburg angewandt. Diese
Verfahrensweise berücksichtigt aber ausbildungsbedingte Aufwendungen nicht
ausreichend.
Das SGB VIII sieht vor, dass „… von der Heranziehung ganz oder teilweise
abgesehen werden soll, wenn Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder
sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe.“ (§ 92 Abs. 5 SGB VIII).
Dies anwendend werden seit dem 01.01.2017 weitere 25% des Gesamteinkommens als
Freibetrag für ausbildungsbedingte Mehraufwendungen angesetzt. Der Landkreis
Coburg vollzieht damit eine Umsetzung die der aktuellen Rechtslage entspricht.