Beschluss: einstimmig

Der Ausschuss für Jugend und Familie stimmt der Anwendung der neuen Richtlinie zur Vergabe von ambulanten Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder- und Jugendliche nach § 35 a SGB VIII im Bereich Legasthenie und Dyskalkulie zum 01.01.2015 zu.


Sachverhalt:

 

 

 


Legasthenie
 – offiziell Lese- und Rechtschreibstörung oder abgekürzt auch LRS genannt– ist, die massive und lang andauernde Störung des Erwerbs der Schriftsprache (geschriebene Sprache). Legastheniker haben Probleme mit der Umsetzung der gesprochenen in geschriebene Sprache und umgekehrt. Als Ursache werden eine genetische Disposition, Probleme bei der auditiven und visuellen Wahrnehmungsverarbeitung, bei der Verarbeitung von Sprache und vor allem bei der phonologischen Bewusstheit angenommen. Die Störung tritt isoliert und erwartungswidrig auf, das heißt, die schriftsprachlichen Probleme entstehen, ohne dass es eine plausible Erklärung wie generelle Minderbegabung oder unzureichende Beschulung gibt. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie geht davon aus, dass in Deutschland vier Prozent der Schüler von einer Legasthenie betroffen sind.“ [1]

Legasthenie tritt in der Praxis am häufigsten als Störung sowohl des Lesens als auch des Schreibens auf. Die Störungen können jedoch auch einzeln auftreten. Man spricht dann von einer isolierten Rechtschreibstörung bzw. einer isolierten Lesestörung.

 


„Eine Dyskalkulie (oder Rechenstörung) tritt bei etwa fünf bis sieben Prozent der Weltbevölkerung auf. Es handelt sich dabei um ein kompensierbares Verständnisproblem im arithmetischen Grundlagenbereich (Mächtigkeitsverständnis, Zahlbegriff, Grundrechenarten, Dezimalsystem), wobei die Betroffenen mit ihrer subjektiven Logik in systematisierbarer Art und Weise Fehler machen, die auf begrifflichen Verinnerlichungsproblemen beruhen“
[2].

Das frühzeitige Erkennen einer Lese-Rechtschreibstörung oder Rechenstörung und die individuelle Förderung der Schüler unterstützt die Lernentwicklung maßgeblich. Die schulrechtliche Basis für diese Förderung bilden die jeweiligen Schulgesetze der Bundesländer. Schülerinnen und Schüler mit einer gutachterlich festgestellten Legasthenie oder einer attestierten Lese-Rechtschreibschwäche (durch Schulpsychologen) erhalten an allen bayerischen Schulen einen Nachteilsausgleich in bestimmten Fachbereichen.

Entstehen oder drohen aufgrund einer Legasthenie oder Dyskalkulie bei den betroffenen Kindern oder Jugendlichen psychische Auffälligkeiten mit Krankheitswert (nach ICD 10) und begründet sich dadurch ein Teilhaberisiko am gesellschaftlichen Leben (siehe § 35a SGB VIII), ergibt sich eine Leistungsverpflichtung von Eingliederungsmaßnahmen durch die Jugendhilfe. Die betroffenen Kinder haben z.B. starke Schulängste, die auch bis hin zur Schulverweigerung führen können. Häufig zeigen sie gleichzeitig starke somatische Symptome. Die Fachkräfte des ASD fordern in diesen Fällen, nach Antragstellung durch die Eltern, eine kinder- und psychiatrische Stellungnahme an und prüfen im Rahmen einer sozialpädagogischen Diagnose das Teilhaberisiko in allen Lebensbereichen. Wird in einer abschließenden Gesamtbewertung die Notwendigkeit von ambulanten Maßnahmen durch die Fachkraft des Amtes für Jugend, Familie und Senioren bestätigt, können die Eltern eine entsprechende Therapeutin oder einen Therapeuten für Legasthenie- und Dyskalkulie beauftragen. Bei beiden Störungsbildern können, durch eine spezielle ganzheitliche Therapieform, die Probleme meist kompensiert und spätere teure intensive pädagogische und/oder therapeutische Maßnahmen verhindert werden.  

Die Vergabe von ambulanten Hilfen zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII, der Eingliederungshilfen gem. § 35a SGB VIII und den Hilfen für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII werden in den aktuellen Richtlinien (in der Fassung vom 01. Januar 2014), beschlossen vom Ausschuss für Jugend und Familie, geregelt. Bisher erfassten diese Richtlinien auch die therapeutischen Maßnahmen bei Legasthenie- und Dyskalkulie. Durch die besonderen Anforderungen an die Therapeuten und an die Struktur des Therapieverlaufs sind gesonderte Richtlinien für diesen Bereich entwickelt worden.

Sie basieren auf der Auswertung der Daten und Erfahrungen in den Jahren 2009 bis 2013:

Nur in einem Viertel aller Fälle konnte die Hilfe im Erstbewilligungszeitraum von 40 h Umfang erfolgreich abgeschlossen werden:

Betrachtet man die Therapiedauer im Kontext der Häufigkeit der Terminwahrnehmungen, lassen sich Zusammenhänge deutlich erkennen. Im Durchschnitt fanden im untersuchten Zeitraum nämlich nur 1,8 Therapietermine im Monat statt. Damit lagen in den meisten Fällen 3 und mehr Wochen zwischen den einzelnen Terminen, was einen aufbauenden und konzentrierten Therapieprozess in Frage stellt.

In der qualitativen Auswertung mit den für den Landkreis tätigen Therapeutinnen wurde als Grund dafür genannt, dass z.T. Eltern Termine in kürzeren Zeitabständen nicht hätten ermöglichen können/wollen.
Die Ursache für den hohen Umfang vieler Therapien sahen sie darin, dass die Kinder und Jugendlichen zunehmend mit multiplen Störungsbildern und nicht mit einer „reinen Legasthenie“ zu ihnen kämen. Das konnte von hier aus nur bedingt bestätigt werden. Eine ausschließliche Therapie der Legasthenie oder Dyskalkulie hat in den vergangenen Jahren in keinem Fall stattgefunden.
Eine weitere Erkenntnis bezog sich darauf, dass der zeitliche Abstand zwischen dem letzten Hilfeplangespräch und dem Ende der Hilfe offenbar zu knapp bemessen ist. Laut Aussagen der Therapeutinnen sei dadurch ein geregelter Abschluss sei dadurch nur schwierig umzusetzen.
Darüber hinaus würden sich manchmal Eltern Monate dem Ende der Therapie nochmals melden und eine Rückkopplung bzw. Auffrischung  der therapeutischen Inhalte benötigen. Nach 1 bis max. 2 Terminen seinen diese dann wieder in der Lage, ihre Kinder allein zu unterstützen.

Zusammenfassend folgt daraus:

§  Es sollen zukünftig 50 Fachleistungsstunden für einen Regelverlauf der Therapie bewilligt werden.

§  Nach 40 Stunden ist im Rahmen der Hilfeplanung die Maßnahme mit allen Beteiligten auszuwerten und die Ablösungsphase von 10 Stunden einzuleiten.

§  Nur in besonders begründeten Ausnahmefällen ist eine Verlängerung der Maßnahme möglich.

§  Gespräche mit den Eltern und dem sozialen Umfeld des Kindes (z.B. Schule) sind Bestandteil der Leistungserbringung.

§  Während der Therapie haben Einzeltermine mit dem Kind, regelmäßig einmal in der Woche, mindestens aber dreimal im Monat stattzufinden, um einen kontinuierlichen Therapieverlauf gewährleisten zu können. Nur in der Abschluss- und Stabilisierungsphase können die Abstände zwischen den Therapieeinheiten größer sein.

§  Die Sorgeberechtigten können zweimal eine einstündige Beratung nach Abschluss der Maßnahme bei den Therapeuten in Anspruch nehmen.

Aus den bisherigen allgemeinen Richtlinien zur Vergabe von ambulanten Hilfen werden die Regelungen zu Fahrzeiten, die Erstellung von Entwicklungsberichten, die Anforderungen zur Qualifikation der therapeutischen Fachkraft sowie die Höhe und ausbildungsbedingte Zuordnung der Fachleistungsstundensätze übernommen.

Dem Ausschuss für Jugend und Familie wird vorgeschlagen, folgenden Beschluss zu fassen: